Anlageberatung – Europa-(Unions-)rechtliche Vorgaben

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) veröffentliche im April 2023 die „Leitlinien zu einigen Aspekten der MiFID-II-Anforderungen an die Geeignetheit“ von Finanzprodukten. Diese gelten seit dem 01.10.2023.

Zudem wurde Art. 54 DelVO (EU) 2017/565 („DelVO-MiFID-II“) neugefasst. Diese Bestimmung gibt den Rahmen für die Geeignetheitsprüfung bei der Anlageberatung und der Portfolioverwaltung vor (§ 56 WAG).

Nach § 56 WAG müssen Anlageberatungs- und Portfolioverwaltungsdienstleistungen für den Kunden „geeignet“ sein. Es ist daher erforderlich, dass der Berater bzw. die Bank bestimmte Informationen über den Kunden einholt, damit er bzw. die Bank seine Empfehlung oder Portfoliogestaltung danach ausrichten kann. Dies wird als „Explorationspflicht“ oder als „Eignungsprüfung“ bezeichnet.

Diese Exploration- oder Eignungsprüfung bezog sich bisher auf die Ermittlung von „Kenntnissen und Erfahrungen“ des Kunden, seine „finanziellen Verhältnisse“ und seine „Anlageziele“. Diese Informationen sollen den Berater bzw. die Bank in die Lage versetzen, eine für den Kunden passende Dienstleistung erbringen zu können.

Art. 54 DelVO MiFID-II konkretisiert und überlagert als höherrangige Rechtsquelle die nationalen Vorgaben nach § 56 WAG. In der seit August 2022 geltenden Fassung verlangt diese Bestimmung, dass die Dienstleistung den Anlagezielen des Kunden, inklusive seiner Risikobereitschaft und Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht.

„Nachhaltigkeitspräferenz“ bedeutet, dass ein Kunde entscheidet, ob und wie weit eines von drei Finanzinstrumenten in seine Anlage einbezogen werden soll. Es gibt drei Kategorien von Finanzinstrumenten (Kategorie A, B und C), und zwar

  • Finanzinstrument mit „ökologisch nachhaltigen Investitionen“ (Kategorie A)
  • Finanzinstrument mit „nachhaltigen Investitionen“ (Kategorie B) oder
  • Finanzinstrument, das die „wichtigsten Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren“ (Kategorie C) berücksichtigt.

Zur Erkundigung der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden bzw. Anlegers hat die WKO einen Leitfaden zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden veröffentlicht, der sich an den ESMA-Leitlinien orientiert.

Schwieriger als die Abfrage ist die Präzisierung der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden. In diesem Punkt muss der Berater nämlich auf die Produktkategorien (nach Art. 2 Z 7 lit. a-c DelVO MiFID-II) eingehen und deren Bedeutung in verständlichen Worten erklären.

Zudem besteht eine generelle Pflicht zur Dokumentation der Eignungsprüfung in Form eines „Eignungsberichtes“. Der Eignungsbericht kann die Beweislage in einem späteren Haftpflichtprozess zum Vorteil beider Seiten verbessern.

Ein Verstoß gegen die §§ 38 f WAG 2007 bedeutet laut dem OGH eine Verletzung von vor- und nebenvertraglichen Pflichten. Auch Verstöße gegen die europarechtlichen Wohlverhaltensregelungen können eine Pflichtverletzung begründen, die Grundlage für einen Schadenersatzanspruch sein kann.

Für eine Haftung nach vertraglichen Grundsätzen kommen folgende Fallgruppen in Frage:

  • Falsche Produktempfehlung („Greenwashing“)
  • Keine Aufklärung über das Nachhaltigkeitsverständnis
  • Keine Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenz

(Zusammenfassung der Abhandlung von Privatdozent Dr. Philipp Fidler, ÖBA 2023, 789)